Starkregen-Check Kanalbetrieb
Forschungsvorhaben „Umgang mit Starkregenereignissen im Kanalbetrieb“
Von Mirko Salomon und Marco Schlüter
Bei Starkregen ist das Betriebspersonal des Kanalbetriebes stets vor Ort. Ausgefallene Pumpwerke und betroffene Betriebspunkte werden instandgesetzt, Verklausungen an Rohrdurchlässen gereinigt und neuralgische Netzpunkte inspiziert. Zugänge zu Pumpwerken werden mit mobilen Hochwasserschotts gegen Überflutungen gesichert.Vor diesem Hintergrund wurde in einem NRW-Forschungsvorhaben ein Starkregen-Check Kanalbetrieb entwickelt.
Praxisnahe Forschungsergebnisse für Abwasserbetriebe
Im Kommunalen Netzwerk Abwasser (www.komnetabwasser.de) haben sich Abwasserbetriebe vernetzt, um die kommunalen Aufgaben der Abwasserbeseitigung gemeinsam anzugehen und Arbeitshilfen und Wissen zu teilen. In dem Netzwerk hat ein Arbeitskreis von dreizehn Abwasserbetrieben in 2018 das Forschungsvorhaben „Umgang mit Starkregenereignissen im Kanalbetrieb“ [1] bearbeitet. Im Ergebnis liegt ein „Starkregen-Check Kanalbetrieb“ vor, der alle Kanalbetriebe bei der organisatorischen Umsetzung von Maßnahmen unterstützt, die in der Krisensituation außergewöhnlicher und extremer Starkregen notwendig werden können. Die organisatorische Umsetzung erleichtert ein Basic-Manual, in dem Best Practice Beispiele aus der Praxis und Muster-Dokumente dargestellt werden. Die Ausarbeitungen sind interessant für alle Kanalbetriebe und wurden deswegen auch vom Umweltministerium des Landes Nordrhein-Westfalen gefördert. Der Forschungsbericht sowie auch die Arbeitshilfen werden nach Abschluss des Projektes, voraussichtlich im Frühsommer 2019, frei verfügbar zum Download gestellt:
Störfall- und Notfallplan nach DIN EN 752
Bei seltenen und extremen Starkregenereignissen nimmt die Bedeutung der Oberflächenabflüsse schnell zu und die notwendigen Maßnahmen im Kanalbetrieb sind wenig vorhersehbar und müssen der Situation im Einzelfall angepasst werden. Sie erhalten verstärkt den Charakter der Krisenbewältigung, die schnelle und situations-gerechtes Handeln erfordert.
Dabei stehen den Verantwortlichen nur begrenzte Ressourcen zur Verfügung, die es optimal einzusetzen gilt, um den unterschiedlichsten Situationen zu begegnen. Ein erfolgversprechendes Krisenmanagement bedarf daher einer intensiven Vorbereitung [2, 3].
Die DIN EN 752 [4] sieht deswegen im Rahmen des integralen Siedlungsentwässerungsmanagements die Entwicklung eines Maßnahmenplans vor, der unter Berücksichtigung zukünftiger Bedingungen die hydraulische, umweltrelevante, bauliche und betriebliche Leistungsfähigkeit des Kanalsystems sicherstellen soll. Ein Teil dieses Maßnahmenplans ist der Störfall- und Notfallplan. Dieser sollte Informationen und Maßnahmen für Krisensituationen enthalten. Als mögliche Zwischenfälle werden in der Norm unter anderem kanal-induzierte Überflutungen, der Ausfall von Pumpenanlagen und Auswirkungen anderer Überflutungsarten auf das System genannt. Nach DIN EN 752 werden als Bestandteile eines solchen Störfall- und Notfallplans empfohlen:
- Organisation des Krisenmanagements
- Einzelheiten für Notfälle
- Geschätzter Zeitaufwand zur Einleitung von Maßnahmen (in allgemeiner Form)
- Liste der zu benachrichtigenden Personen
- Standort der verfügbaren Einsatzmittel (Personal, Fahrzeuge, Ausrüstung, Material)
- Vorgehensweisen (einschließlich Schutz der aufnehmenden Gewässer und Kläranlagen)
Im Forschungsvorhaben wurde ein Muster-Störfall- und Notfallplan entwickelt. Die Inhalte und Erläuterungen des Störfall- und Notfallplans orientieren sich außer an den Empfehlungen der DIN EN 752 auch an den im Rahmen des Forschungsvorhabens ausgewerteten Betriebserfahrungen der dreizehn beteiligten Kanalbetriebe mit Starkregenereignissen sowie den Erfahrungen anderer Abwasserbetriebe aus dem Kommunalen Netzwerk der Abwasserbetriebe. Inhalte aus Umweltalarmplänen der im Forschungsvorhaben beteiligten Kreise und kreisfreien Städte fließen ebenfalls in die Ausarbeitung ein.
Muster-Dokumente für Abwasserbetriebe entwickelt
Im Störfall- und Notfallplan werden wichtige organisatorische Abläufe und Zuständigkeiten festgelegt. Beispielsweise könnte bei einem Starkregenereignis außerhalb der Dienstzeit geregelt werden, dass Sofortmaßnahmen solange eigenverantwortlich vom Einsatzleiter der jeweiligen Rufbereitschaft geleitet werden, bis dieser die Einsatzleitung an einen anderen, z.B. den Leiter Kanalbetrieb, übergibt.
Darüber hinaus werden besonders gefährdete Bereiche bei Starkregen/Überflutungen im Stadtgebiet erhoben und in Plänen gekennzeichnet, z.B. Unterführungen, Rohrdurchlässe, Brücken, besondere Lagen von Tiefgaragen. Die Auswahl der gefährdeten Bereiche kann durch Starkregenkarten und gekoppelte hydrodynamische Kanalnetzberechnungen unterstützt werden.
Liegt ein Störfall- und Notfallplan vor, sind folgerichtig auch die bestehenden Dienst- und Betriebsanweisungen im Hinblick auf die getroffenen Regelungen für den Starkregenfall anzupassen. Darüber hinaus werden allgemeine Gefährdungsbeurteilungen und Gefährdungsbeurteilungen für Betriebspunkte hinsichtlich der möglichen Gefahren bei Starkregenereignissen überprüft und ggf. optimiert.
Betriebspersonal einbinden
Im Forschungsvorhaben wurden Workshops mit der Leitung des Kanalbetriebs und dem Betriebspersonal der Kanalunterhaltung durchgeführt (vgl. Abbildung 2). Ziel dieser Termine war es, das Wissen der Mitarbeiter über kritische Punkte im Stadtgebiet bei einem Starkregen zu sammeln und auf dieser Grundlage gemeinsam Prioritätenlisten und Inhalte für Kontroll- und Wartungslisten zu erarbeiten.
Die Erfahrungen des Kanalbetriebes bilden die Grundlage für den Inhalt von Kontrolllisten und Tourenplänen, um bei entsprechenden Unwetterwarnungen die prekären Betriebspunkte zu kontrollieren und ggf. zu reinigen. Ziel ist es, Sofortmaßnahmen bei Unwetterwarnungen an betriebsinternen Punkten und Bauwerken zu planen, bei denen es z.B. in der Vergangenheit schon zu Überflutungen gekommen ist und Vorsorgemaßnahmen einen großen Nutzen entfalten können, zum Beispiel:
- Ein- und Auslässe
- Unterführungen
- bestimmte Straßeneinläufe, z.B. an Tiefpunkten
- Abwasserbauwerke
- Rohrdurchlässe
Im Ergebnis werden für die einzelnen Betriebspunkte Risikoanalysen und Vorsorgekonzepte erstellt, insbesondere für die Pumpwerke, Drosselbauwerke, Einleitungsstellen etc..Auch für gefährliche Arbeiten im Starkregenfall, z.B. Öffnen von Schachtabdeckungen auf überfluteten Straßen oder Entfernen von Verklausungen vor Rohrdurchlässen, werden Gefährdungsbeurteilungen durchgeführt und Unterweisungen für das Betriebspersonal erstellt.
Sämtliche Workshops mit dem Betriebspersonal zum Thema „Starkregen-Check Kanalbetrieb“ waren im Projekt sehr förderlich für die Umsetzung in die Praxis. Die Abwasserbetriebe berichteten einhellig von der positiven Sensibilisierung des Betriebspersonals für die präventive Vorsorgestrategie.
Ämterübergreifender Fachaustausch
Hilfreich ist es, einen „Runden Tisch“ bzw. „ämterübergreifenden Fachaustausch“ in der Stadtgemeinschaft zu gründen, bei dem sich die beteiligten Akteure in regelmäßigen Abständen über die Gemeinschaftsaufgabe Starkregenvorsorge austauschen können. Der Abwasserbetrieb kann durch den „Starkregen-Check Kanalbetrieb“ in der Gemeinschaftsaufgabe Starkregenrisikomanagement“ vorangehen und den Impuls setzen für weitere Starkregen-Checks in der Stadtgemeinschaft, u.a. bei Feuerwehr, Ordnungsamt, Tiefbauamt, Baubetriebshof, Straßenbaulastträger, Stadtplanung, Grünflächenamt und Technisches Hilfswerk. Dabei ist darauf zu achten, dass die individuelle Auswahl der Ämter stark abhängig von den Strukturen der Stadtverwaltung ist.
Die Erfahrungen im Projekt haben gezeigt, dass es bei der Initialisierung ämterübergreifender Veranstaltungen hilfreich ist, wenn möglichst von der obersten Leitungsebene für den Auftakt eingeladen wird.
Checkliste für Maßnahmen im Kanalbetrieb
Im Forschungsvorhaben wurde die Checkliste „Starkregenmanagement im Kanalbetrieb“ entwickelt. Grundlagen für die Checkliste sind u.a. die durchgeführten Workshops mit dem Betriebspersonal und die Erfahrungen aus den ämterübergreifenden Fachaustauschen. Die Maßnahmen im Kanalbetrieb bei Starkregenereignissen reichen von der Vorsorge, über die Bewältigung, bis zur Nachsorge und Beratung weiterer Ämter. Nachfolgend werden Beispiele für Maßnahmen und Planungen, die von den Kanalbetrieben umgesetzt werden können, nach den chronologischen Phasen kurz skizziert:
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- Vorbereitende Maßnahmen:
Als vorbereitende Maßnahmen dienen insbesondere die Organisation von Abläufen und Meldewegen. In Störfall- und Notfallplänen werden Erreichbarkeiten, auch die Schnittstellen zu anderen Ämtern, identifiziert und schriftlich fixiert. Meldewege und Abläufe werden innerhalb des Kanalbetriebes und in der Gemeinschafts-vorsorge entwickelt und abgestimmt. Das Erstellen von Kontrolllisten für Sofort-Maßnahmen bei Unwetterwarnungen ist ebenfalls ein wesentlicher Bestandteil der Vorsorge. Rohrdurchlässe, Sonderbauwerke und ggf. Straßenabläufe, die vor einem Starkregenereignis kontrolliert und ggf. gereinigt werden sollten, werden aufgelistet. Zudem werden Sonderbauwerke im Stadtgebiet priorisiert, um im Starkregenfall schnell und gezielt Maßnahmen ergreifen zu können, um den Betrieb bestmöglich aufrechterhalten zu können und das Schadensausmaß so gering wie möglich zu halten. Des Weiteren wird ein verstärkter Bereitschaftsdienst organisiert, damit im Starkregenfall ausreichend Personal verfügbar ist zur Bewältigung des Starkregenereignisses.
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- Maßnahmen bei Unwetterwarnung:
Wird eine Unwetterwarnung gemeldet, wird der verstärkte Bereitschaftsdienst aktiviert und koordiniert. Mitarbeiter aus dem Kanalbetrieb und vorgesetzte Mitarbeiter aus der Verwaltung werden in Rufbereitschaft versetzt. Der Kanalbetrieb ist somit auch außerhalb der Dienstzeit handlungsfähig geeignete Maßnahmen durchzuführen. Eine Kontrollliste wird nach der Unwetterwarnung abgearbeitet und die durchgeführten Arbeiten dokumentiert.
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- Sofort-Maßnahmen in der Krisenbewältigung:
Tritt tatsächlich ein Starkregenereignis ein, so sind auftretende Störfälle zu dokumentieren und nach der Priorisierungsliste einzustufen. Mit dieser Hilfe können im Ereignis schnelle und zielführende Maßnahmen zur Bewältigung durchgeführt werden. Falls notwendig wird Kontakt zur Einsatzleitstelle gesucht, um ggf. auch Hilfseinsätze für die Stadtgemeinschaft durchzuführen.
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- Nachsorge-Maßnahmen:
Als Nachsorge werden Störungen der Abwasseranlagen in einem Störfallkataster dokumentiert. Zusätzlich werden weitere Notfälle im Stadtgebiet (z.B. Feuerwehreinsätze) archiviert und auch die Erfahrungen der eingesetzten Mitarbeiter gesammelt. Aufbauend auf der Dokumentation der geleisteten Maßnahmen und Störfällen im Stadtgebiet wird eine gemeinsame Überprüfung der Vorsorgemaßnahmen durchgeführt und mögliche Optimierungen daraus abgeleitet.
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- Beratende Maßnahmen:
Die Beratungskompetenz in andere Dezernate einzubringen ist von wesentlichem Charakter, da die Schnittstellen zu anderen Dezernaten überprüft und wichtige Informationen des Kanalbetriebes im stetigen Austausch übermittelt werden. Somit trägt der Kanalbetrieb wesentlich zur kommunalen Überflutungsvorsorge bei. Zu den Beratungskompetenzen gehören u.a. Betriebserfahrungen über Notwasserwege, Barrieren und Retention im Stadtgebiet schriftlich zu verfassen und in Listen oder Risikokarten darzustellen. Feuerwehren und Rettungsdienste können mit diesen Daten ihre Rettungswege im Starkregenfall abstimmen. Die Stadtplanung kann die Karten nutzen, um bei Neubauprojekten frühzeitig den notwendigen Überflutungsschutz mit einplanen zu können. Auch der Straßenbaulastträger kann durch den Kanalbetrieb über prekäre Straßenabläufe im Starkregenfall informiert werden.
Strategische Umsetzung
Verantwortliche und Betriebspersonal aus Abwasserbetrieben sollten sich auf besondere Betriebszustände der Abwasserbeseitigung vorbereiten, wie beispielsweise Überstau und Überflutungen durch Starkregen. Die Erfahrungen aus dem Forschungsvorhaben zeigen, dass große Anfangserfolge erzielt werden können, wenn ein Starkregen-Check für den Kanalbetrieb durchgeführt wird. Die Organisation der (ämterübergreifenden) Erreichbarkeiten, Meldewege und Abläufe in der Starkregenvorsorge sollte zudem in regelmäßigen Abständen überprüft werden. Organisatorische Abläufe und Ausstattungsmerkmale können stetig verbessert werden. Da nicht planbar ist, wann und ob überhaupt ein Starkregenereignis tatsächlich im Stadtgebiet eintreten wird, empfiehlt sich zur Überprüfung der getroffenen Maßnahmen die Durchführung von Praxis-Übungen im Kanalbetrieb. Hilfreich zeigte sich im Forschungsprojekt die Durchführung von „Runden Tischen“ aller beteiligten Ämter. Der regelmäßige Austausch hilft bei der Organisation und Abstimmung von Maßnahmen zur Starkregenvorsorge. „In Krisen Köpfe kennen“ ist das Credo für eine funktionierende Bewältigung von Starkregenereignissen im Stadtgebiet.
Literatur:
[1] Salomon, M.; Schlüter, M.: Umgang mit Starkregenereignissen im Kanalbetrieb – Starkregen-Check Kanalbetrieb. IKT – Institut für Unterirdische Infrastruktur gGmbH, gefördert durch das Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen (MULNV NRW), 2019.
[2] Karutz, H.; Geier, W.; Mitschke, T. (Hrsg.): Bevölkerungsschutz – Notfallvorsorge und Krisenmanagement in Theorie und Praxis. Berlin, Heidelberg: Springer-Verlag Berlin Heidelberg, 2017.
[3] Uth, H.-J. (Hrsg.): Krisenmanagement bei Störfällen – Vorsorge und Abwehr der Gefahren durch chemische Stoffe. Berlin, Heidelberg: Springer-Verlag Berlin Heidelberg, 1994.
[4] DIN Deutsches Institut für Normung e.V.: DIN EN 752 „Entwässerungssysteme außerhalb von Gebäuden – Kanalmanagement“ Deutsche Fassung EN 752:2017. Berlin, Beuth Verlag GmbH, Juli 2017.
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