Kanal-Nothilfe nach den Überflutungsereignissen im Juli 2021
Nach der Starkregen-Katastrophe muss die Kanalisation umgehend wieder in Funktion gesetzt werden. Alleine waren die betroffenen Abwasserbetriebe oft nicht mehr in der Lage dazu. In dieser Situation koordiniert das Kommunale Netzwerk der Abwasserbetriebe (KomNetAbwasser) eine Kanal-Nothilfe. Um aus der geleisteten Kanal-Nothilfe zu lernen, ist im ersten Schritt nachfolgend ein Dokument zur Ist-Erfassung entworfen. Im Zuge der adhoc zu organisierenden Kanal-Nothilfe hat sich folgender Prozess zur Kanal-Nothilfe etabliert bzw. aus der Situation heraus ergeben:
Pilot-Einsätze: Direkte Kontaktierung der am stärksten betroffenen Gemeinden, über die auch schon bereits in den Medien berichtet wurde, hier die
Städte Hagen und Altena. Direkte Ansprache der bekannten Kontaktpersonen und Koordination erster Hilfseinsätze.
Öffentlichkeitsarbeit: Verbreitung der Erfahrungen aus den Pilot-Einsätzen über die Presse und direkter Aufruf an alle Teilnehmer im KomNetAbwasser zur Konkretisierung von Hilfsangeboten.
Datensammlung: Aufbau eines strukturieren Datenpools mit Angaben der Helfenden zu Mobilnummern, verfügbarem Personal und Gerät, mögliche Einsatzzeiten sowie Angaben der Hilfesuchenden zu Mobilnummer, Anfahrpunkt im Ort.
Matching der Hilfsangebote und -suchenden: Die Hauptkontaktpersonen in passenden Abwasserbetrieben werden miteinander verbunden, in der Regel über ihre Mobilnummern. Die weitere Koordination läuft direkt im 1:1-Kontakt.
Monitoring: Zentral wurden die Einsätze durch das IKT dokumentiert und die Listen der noch verfügbaren Ressourcen ständig aktualisiert. In den wöchentlichen Online-Sitzungen des KomNetAbwasser wurde sowohl durch das IKT als auch die Helfenden über die aktuelle Lage berichtet, so dass die Einsatzerfahrungen direkt für Verbesserungen genutzt werden konnten.
Parallel zu dem o.a. Prozess wurden die Erkenntnisse und Kontaktmöglichkeiten auch mit Unterstützung des nordrhein-westfälischen Landesumweltamtes an die zur unmittelbaren Gefahrenabwehr eingesetzten Krisenstäbe der Landkreise weitergegeben.
Folgende Hilfseinsätze von Kommunen für Kommunen sind bisher erfasst.
- Arnsberg in Sundern und Altena
- Dortmund in Bad Münstereifel,
- Duisburg in Weilerswist,
- Gelsenkirchen in Altena,
- Haltern in Zülpich,
- Herne in Zülpich,
- Moers in Mechernich/Weilerswist,
- Mülheim in Eschweiler,
- Münster in Swisttal,
- Oer-Erkenschwick in Altena,
- Rheda-Wiedenbrück in Swisttal
- Siegen in Schleiden
- Stuttgart in Gerolstein
Bitte senden Sie uns eine Aktualisierung zu Ihren Amtshilfe-Einsätzen: Geräte, Personal, Zeit…!!!
Erste Zwischenergebnisse
Aus den Einsätzen lassen sich im Gesamtblick folgende wesentliche Erkenntnisse der Betroffenen und Helfer zusammenfassen:
- Bei den Abwasserbetrieben handelt es sich um sehr spezielle Unternehmen mit einer besonderen Infrastrukturverantwortung. Die Maßnahmen des Kanalbetriebs zielen im Krisenfall auf die Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit der Entwässerungsnetze, um die vom Starkregen betroffenen Ortslagen vor Problemen bei weiteren neuen, geringeren Niederschlägen zu schützen. Dies ist insbesondere bedeutsam, da die Betroffenen in der Regel noch vom Katastrophenereignis traumatisiert sind und sowohl Menschen als auch Sachgüter häufig ungeschützt und extrem vulnerabel jedem weiteren, auch nur geringen Ereignis ausgesetzt sind.
- Die Entwässerungsbetriebe werden von den staatlichen Krisenstäben in der Regel nicht als direkte Akteure der akuten Gefahrenabwehr angesehen, wie z.B. Armee, Rotes Kreuz, Technische Hilfswerke und Polizei, sondern vorwiegend nur als ergänzende Unterstützer/Helfer. Die Rolle als Betroffener, der selbst Hilfe und Unterstützung zur Instandsetzung der Infrastruktur bedarf, wurde kaum gesehen. Entsprechend ist es wichtig, das an anderer Stelle der direkte Kontakt zwischen den Abwassermeistern der betroffenen und der helfenden Kommunen hergestellt wird, so dass konkrete Hilfseinsätze direkt zwischen diesen abgestimmt werden können.
- Die Kontaktaufnahme zwischen den Abwasserfachleuten war vielfach nur möglich, weil die Beteiligten im kommunalen Netzwerk über viele persönliche Kontakte zu Betroffenen und potenziellen Helfern verfügen. Viele Kontakte kamen nur über nicht öffentlich zugängliche Handy-Nummern oder eher zufällige Social-Media-Verbindungen zustande. Hier zeigt sich ein immenser Bedarf für die systematische Erfassung von Kontakt-Daten der Arbeitsebene, z.B. im Sinne eines Nothilfe-Passes. Optimalerweise sollte die Angabe solcher Daten bereits in rechtlichen Selbstüberwachungspflichten gefordert sein und die Daten im Krisenfall zentral bei einer Treuhand-Stelle abgerufen werden können.
- Anders als bei normalen Starkregen-Ereignissen, die zwar zu Überflutungen, nicht aber zu katastrophalen Auswirkungen führen, wurden die betroffenen Orte im Katastrophenfall von der Schnelligkeit und Wucht der Ereignisse überrollt. Die Betroffenen waren durch die zunächst recht unspezifischen Warnungen zwar grundsätzlich auf Überflutungsereignisse vorbereitet, allerdings rechneten sie aufgrund bisheriger Erfahrungen mit geringeren Ereignissen nicht mit einer solch extremen Ausnahmesituation. So beschränkten sich die privaten Schutzmaßnahmen in der Regel auf einfache, bewährte und bekannte Maßnahmen, wie dem Schutz von Sachgütern durch z.B. das Sichern der Kellerräume. Dies wurde aber dem anstehenden Ereignis mit seinen Gefahren für Menschenleben überhaupt nicht gerecht. Hier sollten künftig auch entsprechende Extremszenarien in Warnungen konkretisiert und in Übungen trainiert werden.
- Viele Hilfseinsätze waren nur möglich, weil die Verantwortlichen dies spontan organisierten und die rechtliche und kaufmännische Abwicklung zunächst ungeklärt ließen, wie z.B. arbeitsrechtliche Bedingungen und kaufmännische und gebührentechnische Abrechnungsmöglichkeiten der Einsätze. In anderen Fällen konnte eine Hilfe gar nicht aktiviert werden, da die langen Entscheidungsprozesse zu tage- oder sogar wochenlangen Verzögerungen führten. Hier scheint es unabdingbar, den rechtlichen Rahmen für eine Hilfeleistung bereits vor möglichen Ereignissen zu klären, so dass im Ereignisfall schnell gehandelt werden kann.
- Während viele Kanalbetreiber darüber diskutieren, dass der Betrieb von Schmutzfängern unter den Kanaldeckeln zu aufwändig ist, schützten gerade diese Elemente die Kanäle vor übermäßiger Verschlammung. Vielfach waren sie zwar mit Schlamm gefüllt und verschlossen den Kanalzugang vollständig, gerade hierdurch wurde aber auch der Zustrom weiteren Schlammes in die Kanalisation verhindert.
- Zerstörte Heizöltanks führten zu großen Ölzuflüssen in die Kanalisation. In der Folge war eine Begehung von Schächten und Kanälen nicht mehr zu verantworten. Auch ist mit einer Beeinträchtigung der Gewässer durch diese Zuflüsse zu rechnen. Auch weiterer Unrat sammelte sich in der Kanalisation, zur Entsorgung fehlten aber geeignete Zwischenlager-Plätze.
- Grundsätzlich ist die Organisation von Hilfseinsätzen im Katastrophenfall zu überdenken. Gegenwärtig orientieren sich die Notfall-Systeme der Abwasserbetriebe allein an durchschnittlichen Überflutungsszenarien, nicht aber an Extremereignissen. Dies gilt auch für das Vorhalten von Netz- und Betriebsdaten. Im Katastrophenfall können alle örtlichen Systeme zerstört sein, so dass ein Backup wesentlicher Netzdaten und deren Verfügbarmachung über einfache Kommunikationskanäle, wie Ausdrucke und Handy-Infos, möglich sein sollte.
- Gerade das Personal kleinerer Abwasserbetriebe braucht im Katastrophenfall neben der technischen auch eine strategische Unterstützung. Viele Mitarbeiter sind auch privat von dem Ereignis betroffen und körperlich und mental kaum in der Lage eine komplexe Katastrophenlage im Abwasserbetrieb noch zusätzlich zu managen.
Neben den unmittelbaren Erkenntnissen, die mit den Einsätzen im Juli 2021 in Zusammenhang stehen, lassen sich auch weitergehende Schlussfolgerungen zum Umgang mit Katastrophenregen ziehen. Letztlich führten die pure Menge der bei einem Katastrophenregen auftretenden Abflüsse und die durch diese mitgerissenen Fremdkörper zu den beobachteten Sach- und Personenschäden. Ein direkter Schutz vor diesen Wassermassen scheint nur selten möglich. Umso wichtiger ist es, die im gesamten Einzugsgebiet auftretende Abflussbildung und -konzentration an der Oberfläche besser zu verstehen, denn diese zunächst noch geringen Abflüsse führen in der Summe erst zu den großen gefährlichen Wassermassen. Zuverlässige Starkregenrisikokarten lassen sich entsprechend auch nur bei sicherer Kenntnis der Abflussbildung im Gebiet ermitteln. Weitergehende Untersuchungen zur genauen Quantifizierung der Abflussbildung und -konzentration sind hierzu erforderlich.
Konsequenz: Koordinierungsstelle für Kanal-Nothilfe
Wesentliche Erkenntnis aus der Kanal-Nothilfe der Abwasserbetriebe: „Eine Koordinierungsstelle „Kanal-Nothilfe“ hat hohes Potenzial!“ so äußerten sich die Abwasserbetriebe einhellig in der Abwassersprechstunde von KomNetAbwasser:
Kommunales Netzwerk der Abwasserbetriebe, in Bearbeitung KH 27. August 2021
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