Havarie-Konzept für eine Hauptdruckleitung
Abwasserdruckleitung beschädigt und dann kopflos? Der Umgang mit besonderen Betriebszuständen, wie sie bei Störfällen an Abwasserdruckleitungen auftreten können, ist komplex. Ludger Wördemann, Leiter des Kanalbetrieb Rheda-Wiedenbrück, erklärt das technische Havariekonzept für einen möglichen Störfall an einer wichtigen Abwasserdruckleitung in seinem Netz.
Das Video zum Beitrag finden Sie auch im KomNetTV unter Abwasserdruckrohrleitung – Havariekonzept
Zunächst erfolgte eine Bestandsaufnahme mit dem „Smart-Ball-System“ um einen Überblick über die Ausgangssituation zu bekommen.
Gleichzeitig haben wir uns dann die Zugänglichkeit der Armaturen angesehen und feststellen müssen, dass diese doch sehr beengt sind und wir kaum Platz in den Schächten haben, um da irgendetwas technisch umzubauen und wir im Bestand gar keine Möglichkeit haben, irgendwo fliegende Leitungen anzuflanschen beziehungsweise Strecken seperat abzuschiebern. Durch die kurze Reaktionszeit die uns im Ernstfall verbleibt, wir sprechen von rund neun Stunden, verschärft sich die Situation.
Ludger Wördemann, Leiter Kanalbetrieb, Eigenbetrieb Abwasser Rheda-Wiedenbrück
Für den Havariefall wurde bei den Eigenbetrieben Abwasser der Stadt Rheda-Wiedenbrück ein Konzept ausgearbeitet. Ausgangspunkt waren Berechnungen und Prognoseüberlegungen aufbauend auf drei Grundüberlegungen:
- Was passiert, wenn irgendwo auf der 700 Meter langen Strecke der Hauptdruckleitung DN 400 eine Störung und Havarie der Leitung auftritt?
- Welche technischen Maßnahmen müssen erfolgen?
- Wie schnell müssen diese umgesetzt werden, damit Folgeschäden minimiert werden können?
Es zeigte sich schnell, dass eine technische Lösung für die Instandsetzung einer Druckleitung immer vom Einzelfall und der Ausprägung des Störfalles abhängen wird. Jedoch ist zu erwarten, dass im Havarie-Fall keine Zeit für grundlegende Planungen und die Umsetzung von umfassenden Sanierungslösungen bleibt. Das Havarie-Konzept aus Rheda-Wiedenbrück soll gewährleisten, dass das Abwasser in wenigen Stunden wieder transportiert werden kann und somit Zeit für die Umsetzung von dauerhaften Sanierungslösungen gewonnen wird.
Im Havarie-Konzept der Stadt Rheda-Wiedenbrück wurde die Druckleitung entsprechend der vorhandenen Schachtbauwerke in elf Abschnitte unterteilt. Dort entstanden die Baustellen für die Umbaumaßnahmen an der zentrale Abwasserdruckrohrleitung, um die Zugänglichkeit von sogenannten „fliegenden Leitungen“ zu ermöglichen. Dort wo es die Zugänglichkeit erlaubte, wurden die notwendigen Bauteile auch in den vorhandenen Schacht integriert um zusätzlichen Aufwand zu reduzieren.
Für die Festlegung der genauen technischen Details des Projektes, war es laut Wördemann notwendig konkrete Berechnungen durchzuführen. Es blieb jedoch die Fragestellung, wie lange man das Kanalsystem im Zuge der Umbaumaßnahmen ausstauen kann, ohne das Rückstauschäden zu erwarten sind.
Die genaueren Auswertungen der Pumpenleistungen und die Berechnungen zum Rückstauvolumen wiesen eine Reaktionszeit von unter 9 Stunden aus, in der es gelingen muss eine „fliegende Leitung“ zu legen und genügend Abwasser umzupumpen, so dass keine Rückstauschäden entstehen. Das heißt, innerhalb von neun Stunden ist zu gewährleisten, dass eine Umleitung mit ausreichender Kapazität an der Havariestelle vorbeigeführt werden kann. Im nächsten Schritt mussten also auch die Leitungsdurchmesser für die fliegenden Leitungen bemessen und technische Anschlussmöglichkeiten geplant werden.
Die technischen Anschlussmöglichkeiten sollten sich jedoch als Knackpunkt erweisen, da besondere Anforderungen gestellt wurden. Neben der eigentlichen Funktion als Anschluss für „fliegende Leitungen“ sollte sich die Strecke durch die Bauteile in elf Abschnitte abschiebern lassen und den Zugang für Reinigungsarbeiten und Kamerabefahrungen ermöglichen. Da sämtliche Einbauten möglichst in den vorhandenen Schächten platziert werden sollten, musste die Bauteillösung sehr kompakte Maße aufweisen. Da es am Markt jedoch kein Bauteil gab, das allen Ansprüchen genügte, wurde das „Universal-Service-Teil“ entwickelt.
Auf statische Berechnungen und regen Austausch folgte der Bau eines ersten Prototypens und der Probeeinbau. Nachdem dieser erfolgreich war, wurden Weitere in Auftrag gegeben. Dabei fand der Einbau jeweils in Nachtschichten statt, um die Stunden des minimalen Abwasseranfalls nutzen zu können.
Zu den technischen Eigenschaften des Universal-Service-Teils:
Die Abwassertransportleitung hat die Nennweite DN 400, die beiden Anschlüsse für fliegende Leitungen haben die Nennweite DN 150. Für den Havariefall sind darüber hinaus Schieber angeordnet. Nach dem Absperren lässt sich das Bauteil abwasserfrei entleeren, sodass sich sich die Flansche lösen lassen und die Übergangesstücke für die anzuschließende Schlauchsystem der fliegenden Leitungen montiert werden können.
Sind die fliegenden Leitungen verlegt, kann der Zulaufschieber wieder geöffnen werden. Mit der betriebsüblichen Pumpenleistung wird bis zum nächsten Schacht übergepumpt, wo genau das gleiche System verbaut ist. Die Nutzung dieses Systems ist die schnellstmögliche Option um eine Notfallentlastungstrecke einzurichten und zusätzlich Reinigungsöffnungen zu integrieren, von denen aus TV-Kamera Befahrungen oder Reinigungen durchgeführt werden können. Zur zusätzlichen Be- und Entlüftung der Leitung sind entsprechende Lüftungsventile verbaut.
Im Gesamtblick ist das Projekt in drei Teilen bearbeitet worden. Zunächst wurde das strategische Konzept angegangen mit den Fragen, welche Havarien sind möglich und wie kann diesen begegnet werden? Im zweiten Projektteil wurden die technischen Voraussetzungen für eine Abwasserumleitung geschaffen, insbesondere durch die Konstruktion und den Einbau der Universal-Serviceteilen und Absperrschiebern. Im dritter und abschließender Projektteil galt es organisatorische Dinge zu regeln:
Mit welchem und mit wieviel Personal arbeitet man, um eine fliegende Leitung schnellstmöglich zu legen?
Sind die notwendigen Bauteile vorhanden und stets schnell einsatzbereit?
Welche Technik wird verwendet, um in kurzer Zeit große Strecken Leitungen zu verlegen?
Gibt es Hilfsmittel hierfür?
Die praktischen und organisatorischen Umsetzung müssen dabei nicht nur geplant, sondern auch geübt und einstudiert werden. Regelmäßige Übungen sind dabei unerlässlich. In diesen Übungen wird sowohl der organisatorische Ablauf als auch der korrekte und schnelle Anschluss der fliegenden Leitungen gefestigt um im Havarie-Fall kostbare Zeit zu sparen.
Ansprechpartner
Dipl.-Ing. Marco Schlüter
Tel.: 0209 17806-31
E-Mail: schlueter@ikt.de
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